„Salt Sea Island“ ist ein schön konsistenter Titel, dessen drei Worte zusammengenommen zwar eigentlich keine mir bekannte Bedeutung haben, als Assoziationskette aber bestens zueinander passen. Rein klanglich schließt das neue Ambient-Werk von Stefan Paulus jedenfalls im großen und ganzen an seinen letztjährigen Brocken „Becoming-Dissolve“ an: „beta zefall“ eröffnet mit Meeresrauschen und dezent im Hintergrund gehaltenen pulsierenden Orgelklängen, und gerade ersteres ist dabei als ganz wunderbarer Raumklang zu hören. Ab Minute 6 kehrt sich das Verhältnis der beiden Komponentne etwas um, die Orgel wird auf einmal präsenter und ist in den Folgeminuten zeitweilig – also in den Pausen zwischen zwei Wellen – fast ganz alleine zu hören. Interessanterweise werden die Spuren naturalistischer Tonaufnahmen schließlich noch um Windheulen und herabplätscherndes Wasser erweitert, womit die Atmosphäre auf einmal in Richtung „Burgruine im Herbst“ umschlägt – ein Eindruck, der zusätzlich durch Windspiel-Klänge verstärkt wird. Mit den letzten Minuten dieser Nummer kehren nochmals die Klänge vom Anfang zurück, wobei schließlich am Schluss sowie im folgenden „passage 1“ mit einigen schwermütig-düsteren Klaviertönen tatsächlich etwas ins Spiel kommt, was auch im landläufigen Sinne als „Musik“ bezeichnet werden könnte.
„a journey into a spatial fold“ hingegen fängt fast wie Kraftwerks „Morgenspaziergang“ an, nur Flöte und Klavier fehlen hier. Im Laufe der Zeit entfernt man sich allerdings von diesem Vorbild, was spätestens dann passiert ist, wenn ein ganzes Arsenal an Kuhglocken und den zugehörigen Tierlauten ertönt. Nichtsdestotrotz wecken die schwirrenden Klänge im Hintergrund immer noch Assoziationen an Kraftwerk, und zwar konkret an die langsamere der beiden „Kometenmelodien“. Schließlich werden die Kuhglocken später noch sehr süffisant mit Kettensägen und Fluglärm kontrastiert, der die entsprechende Überleitung zu „passage 2“ bildet. Schließlich scheint der abschließende Titeltrack das restliche Album nochmals zu subsumieren: Das Meeresrauschen und das Windheulen aus „beta zerfall“ sind ebenso zu hören wie Rückgriffe auf den Rindermessing, und den Hintergrund dazu bilden jene schwebenden Orgelklänge, die in „beta zerfall“ ebenso zu finden waren wie schon auf „Becoming-Endless“. Auch das zeitweilig angedeutete Gewitter erinnert nochmals an die Vorgängerplatte, und den Abschluss bildet ein voluminöses Nebelhorn.
Ob man „Salt Sea Island“ genießen kann, ist wohl eine sehr subjektive Frage. Vielleicht kommt es auf die momentane Stimmung an, was sich an folgendem Erlebnis gut demonstrieren lässt: Vor nicht allzulanger Zeit hatte ich einen Tagesausflug nach Norderney gemacht und dort ausgiebig gebadet. Auf der Rückfahrt mit der letzten Fähre ergänzten sich auf einmal die monotonen Vibrationen der Maschinenanlage, eine sich rhythmisch im Wind wogende Flagge aus Kunstfaser, eine daran befestigte Metallöse, die periodisch gegen die Bordwand schlug, sowie die Gespräche der übrigen Fahrgäste zu einem ganz eigenen Klangerlebnis, das ich in meiner Feierabendstimmung nur zu sehr genossen habe. Solche Einlassungen sind dann auch die Umständen, unter denen „Salt Sea Island“ zu einem interessanten Album machen. Ruhe, Entspannung und Konzentration sind hier dringend nötig, andernfalls wird man hier den Reiz ebenso vergeblich suchen wie bei Wodka den Geschmack.“ (G.CLAUSSEN)